Rezension

Über meine Kunst

Anfangs entsteht vor allem Schwarzweiß-Grafik. Der Künstler Vladimiro Miszak nutzt den Bleistift und die Kohle, zeichnet mit Feder und Tusche, erprobt die Punktier-, Schraffier-, Verwischtechnik und das Lavieren, um Licht- und Schattenzonen zu schaffen, Mehrdimensionalität und Expressivität zu erzeugen. Der Kugelschreiber wird für ihn das ideale Werkzeug. Mit kreisenden Bewegungen entwickelt er ein Gespinst an Linien, die sich kreuzen, überlagern und unzählige sich an- und übereinanderreihende Trapez- oder Tropfenformen ergeben. Seine Kompositionen scheinen aus gleichmäßig eingefärbten Flächen zu bestehen, die unterschiedlichen Grauwerten entsprechen. Erst bei genauer Betrachtung erkennt man die feinen Strukturen, die das bewirken.

Der Mensch steht in den meisten seiner Werke im Mittelpunkt: Er zeigt ihn allein, zu zweit oder in der Gruppe vor einem neutralen Hintergrund. Von einzelnen Personen wählt er gern Ausschnitte, bildet ausdrucksstark ihre Mimik und Gestik ab. Sujets wie das Schachspiel und politische Ereignisse wie Machtdemonstrationen und Übergriffe der russischen Armee in der Tschechoslowakei greift er auf und kreiert Typen, deren Miene oder Haltung alles sagt. Die Nähe zur Karikatur ist gewollt. Bei den Schachspielern sind Konzentration und Denkanstrengung unübersehbar. Einmal lässt Miszak das Brettmuster weiter über ihre Köpfe laufen, als ob sich dort ein besonderes Licht-Schatten-Spiel abzeichne. So verdeutlicht er, wie sehr sich die beiden Kontrahenten in ihrer Spielleidenschaft gleichen, verstärkt das Maskenartige, Undurchdringliche in ihren Gesichtern.

Von jeher fasziniert Miszak, der selber Schlagzeuger ist und mit bekannten Jazzmusikern auftrat, die Musik. Schon früh bezieht er sie in seine Bilder ein. Mit zarten Kulistrichen skizziert er einen „Musiktraum“: Dünne Schnüre, die ebenso an Gitarrensaiten wie an Notenlinien erinnern, behindern Finger, die den Takt angeben oder an den Saiten zupfen wollen, sich aber darin verfangen haben. Diese Verbundenheit grenzt an Besessenheit, ängstigt fast wie ein Alptraum. Eine Bleistiftzeichnung, eine Airbrush-Arbeit, drei Farbkompositionen und einige Drucke folgen, darunter Abstraktionen von Blas- oder Saiteninstrumenten, in den Siebdrucken auf Linien und Formen reduziert und unterschiedlich koloriert. Für seine Farbbilder-Reihe, in der ein Dreiklang aus Braun-Gelb-Schwarz-Nuancen vorherrscht, fertigt Miszak abstrahierte Schablonen an. Nacheinander betupft er deren Freiflächen so lange mit dem Pinsel, bis sie plastisch wirkende farbige Gebilde ausfüllen. Den Vordergrund bestreiten imposante Fragmente eines Instruments; dahinter oder daneben erscheinen Kopf und Hände des Musikers. Trotz des Farbkontrasts verschmelzen Mensch und Gegenstand beim Spiel durch die gelungene Darstellung zu einer Einheit, als wären sie aus einem Steinblock gemeißelt. - In der Airbrush-Arbeit taucht der herangezoomte Kopf des Bläsers wie im Dunst einer Bühnenschau hinter den Tonlöchern des Instruments auf. Obgleich man die beiden Siebdrucke mit dem Titel „Appetit“ zuerst als Stilleben mit Obst und Blumen wahrnimmt, steckt mehr in ihnen. Die kürbisähnliche Frucht, nach der eine Hand mit ungewöhnlich langen, gespreizten Fingern greift, gleicht einer Rumbarassel, und der darunter liegenden Melone verleiht das darauf abgelegte Besteck Ähnlichkeit mit einem Saiteninstrument. Das Obst ist aufgeschnitten: Man sieht die Kerne der halbierten Melone, während im grünen Kürbis etwas orangebraun leuchtet. Ein Embryo zeichnet sich dort ab. Der Maler deutet eine ,Befruchtung’ an.

Zeitgleich setzt sich Miszak in Farbsiebdrucken mit Taucherfahrungen in Saint Tropez auseinander, beginnt mit dunklen, deckenden Farben, wie Rot und Braun. Als Rahmen der Unterwasserbilder nutzt er meist den Rand der Taucherbrille: Durch das Augenglas schaut man auf Pflanzen, die sprudelnde oder perlende Strömung des dunklen, aufgewühlten Meeres und einen Tintenfisch. Insgesamt entsprechen die malerischen, von Leichtigkeit geprägten Drucke stilistisch dem Naturschauspiel. Hier dominieren keine strenge Linien oder Formen, sondern leuchtende, helle Blau- und Grüntöne, denen Miszak bisweilen ein Rot als Kontrast zur Seite stellt - Farben, die ineinander laufen, sich mischen, dabei ihre Transparenz bewahren.

Von 2004 an wird die Farbe in Miszaks Bildern zum wichtigen Stimmungsträger. Anfangs greift er zum Pinsel, malt mit Acrylfarben. Dann entdeckt er die besondere Wirkung von Markern, die seiner eher grafischen, der Linie treu bleibenden Malerei entgegen kommen. Sein Hauptthema bleibt die Zweierbeziehung. So dokumentiert er z.B. gleichzeitig mittels Formen und Farben Unterschiedlichkeit und Überein-stimmung eines Paares, weist in anderen Bildern durch sie auf Emotionen und Spannungen hin, die bei Beziehungen auftreten. Typisch für die meisten dieser neuen Bilder ist ein transparenter, leuchtender Farbauftrag; sie sind vertikal ähnlich wie Diptychen oder Triptychen in zwei oder drei Zonen unterteilt und enthalten auffällige Gegensätze: farbig gestaltete Partien aus streng geometrischen Formen, in denen mit Zirkel oder Lineal gezogene Linien dominieren, sowie mit Bleistift gezeichnete naturalistische Elemente wie Teile von Porträts oder Menschenfiguren.

Die Ausnahme ist eine Folge von Farbfelder-Bildern, in der Miszak allein mit Linien und allen Grundfarben arbeitet, um die perfekte Entwicklung einer Beziehung zu charakterisieren. In einem Raum, der bis zu vier Etagen aufweist, dominieren zunächst aufsteigende vertikale, gerade Linien, zu denen sich einige gebogene gesellen. Die Linien gehen miteinander Verbindungen ein und zuletzt zeigt sich eine Symbiose: Aus einem lockeren Nebeneinander von senkrechten Linien in einem Raum ist nun ein kompaktes Bündel aus kleinen und größeren, aufeinander gestapelten, unterschiedlich geformten Farbpaketen geworden, in denen gerade und gebogene Linien ebenso wie horizontale und vertikale sich fast die Waage halten. In der Bilderfolge aus dem Jahr 2014 schmiegen sich ein männlicher und ein weiblicher Körper wie ein schwarzer Silhouetten-Rahmen um einen mit verschiedenen farbigen Elementen gefüllten Kreis, der in zwei Hälften zerfällt. Das Innere der Halbkreise verändert sich ständig, ist abgestimmt auf das Wechselbad der Gefühle der Partner. Anfängliche sichtbare Übereinstimmungen verlieren sich, die Gegensätze scheinen am Ende unüberbrückbar. Das Beziehungsthema ist für Miszak damit jedoch noch längst nicht ausgeschöpft.

Wenn er seinen Weg so individuell weitergeht wie bisher, darf man auf seine weiteren Werke gespannt sein.

Elke Grapenthin - M.A.